Leistungskurs - Variationen zu Giorgio de Chirico
(Kohle und weiße Kreide auf grauem Packpapier/ 3 Doppelstunden)

Unterrichtszusammenhang

Die Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Kunst sollen im ersten Kurshalbjahr ihre bildnerischen Grundlagen in verschiedenen Werktechniken aus den Bereichen Farbe/Malerei, Zeichnung, Druckgraphik und Plastik/Raum vertiefen. Nach einer einführenden Modellstudie im Sinne einer möglichst exakten Sachzeichnung mit spitzem Bleistift steht im Folgenden die Technik der weiß gehöhten Kohle- bzw. Kreidezeichnung auf dem Programm:

Anregungen/ bildnerischer Anlass:


Am Modell einer alten Tigeldruckpresse konnten die Schülerinnen und Schüler das Herausarbeiten einer metallischen Oberfläche durch Glanzlichter in Bleistifttechnik bereits üben. Diverse Teile eines zerlegten Fahrrads, Türklinken und andere Gegenstände mit metallischer Stofflichkeit dienen nun als Modell für unser nächstes Bild.

 

Giorgio de Chiricos Münchner Bild "le muse inquietanti" aus dem Jahr 1917 ist im Unterricht Grundlage zu einer ersten Bildanalyse, bei der es neben der Äußerung eines ersten "affektiven" Eindrucks und einer sachlichen Beschreibung des Bildinhalts besonders um eine Bestandsaufnahme der gestalterischen Tricks Giorgio de Chiricos ging, mit welchen er seine traumhaft imaginäre Bühne gestaltet. Aus seinem Bild lesen wir sozusagen eine Anleitung für den Aufbau unserer eigenen Zeichnungen heraus: ein dunkler, nächtlicher Himmel, ein hohes Format mit relativ weit oben liegendem Horizont, ein Dielenboden in Linearperspektive, hartes Seitenlicht mit kräftigen Schlagschatten am Boden und starke Verkürzung der Gegenstände im Bildraum. In diese Kulissse werden frei erfundene, aus den oben genannten metallischen Versatzstücken zusammengefügte, stelenartige Figuren auf einen Sockel gestellt. So könnte es gelingen!

Warum Chirico?

Der künstlerische Umbruch, der mit Beginn der Aufklärung einsetzt und nach den Wirren der Revolution zu einer völligen Neuorientierung der Kunst um 1800 führt, steht in der Kunstgeschichte am Beginn der Moderne. Der moderne Künstler, der unvermittelt auf sich selbst gestellt wird, der seine Kunst "in sich sehen" muß, wie Caspar David Friedrich es ausdrücken wird, entsteht in diesen Jahren der Revolutionsarchitektur und des Sturm und Drang. Ein Anliegen der Kunstgeschichte im Leistungskurs Kunst ist es, die Schüler der modernen Kunst gegenüber aufzuschließen, die in der Frühromantik ihre geistigen Vorfahren sieht. Auf Künstler Künstler wie Füßli, Blake, letztlich auch Goya wird Giorgio de Chirico sich mit seiner pittura metafisica berufen. Der historische Vorgriff auf das Jahr 1917 ist in diesem Sinne als eine Art Längsschnitt zu werten, da Chirico mit denselben bildnerischen Mitteln arbeitet, um die Nachtseite unseres Verstandes zu aktivieren: das Hell-Dunkel, das Unlogische, den scheinbar unendlichen Tiefenraum.

Schülerarbeiten:

Die Zeichnungen der Schüler veranschaulichen, dass der Einsatz dieser bildnerischen Mittel grundsätzlich funktioniert. Was bei Chiricos Serie der "piazze d`Italia" in Anbetracht des Ersten Weltkriegs und seines Lazarett-Aufenthaltes in Ferrara tragische Dimensionen hat, wirkt hier als Aufgabenstellung im Kunstunterricht natürlich eher wie ein Spiel mit den bildnerischen Mitteln und entbehrt nicht des einen oder anderen Gags, was bewußt zugelassen war. Die 70 x 50 cm großen mit Kohle und weißer Tafelkreide auf grauem Packpapier gezeichneten Arbeiten entstanden in drei Doppelstunden.


Eine Schülerin macht aus Chiricos Vorgabe ein Querformat. Trotz dieses Mißverständnisses meiner Vorgaben erzielt ihre Arbeit einen suggestiven tiefenräumlichen Sog.

 

 

Martin Gensbaur