Luitpold-Gymnasium München                                                                                             Gensbaur
Seminar für Kunsterziehung

Zusammenfassung von Gunter Otto: „Kunst als Prozeß im Unterricht“

Kritischer Kommentar: H.G. Richter/Geschichte der Fachdidaktik, 1981

Vorwort

Im ersten Vorwort des Jahres 1963 setzt Otto seine Didaktik des Faches „Kunstunterricht“ von veralteten Modellen einer „Kunsterziehung“sehr allgemein ab. Im Vorwort des Jahres 1969 spricht er konkret von seinen Anliegen: einer „Strukturierung der Lernprozesse“ und auf eine „Erweiterung des ästhetischen Potentials“ im Unterschied zu einseitig auf Bildende Kunst beschränkte fachdidaktische Modelle (er meint wohl vor allem Pfennig). Kunstunterricht diene zum Herstellen einer „Kommunikation mit ästhetischen Objekten“, die sich nicht allein auf gesellschaftlich akzeptierte Formen der Kunst beschränken lassen. Hier ist der allgemeine Ton der Zeit hörbar.

Lage der Fachdidaktik im Jahre 1968

Otto fordert, daß eine Fachdidaktik Kunst sich auf ein gültiges allgemeines didaktisches Modell beziehen müsse. Das hat Folgen für deren Terminologie  („Problemlösungsprozessen, Lernzielen, Lernzielkontrollen“). Otto setzt sein Modell von den aktuellen Bildungstheorien (Klafki, 1967) ab. Er kritisiert den hohen Erweckungsanspruch einer derartigen Didaktik, deren wichtigstes Ziel ein nicht meßbarer Zuwachs an „Bildung“ darstellt. Demgegenüber sieht er in der gemeinsam mit Heimann und Schulz für ein Didaktikum zur Berliner Lehrerbildung 1962 entwickelten Lerndidaktik eine Chance auch für den Fachdidaktiker. Sie biete die Möglichkeit zur Präzision konkreter Lernziele und zur Strukturierung der Lehr- und Lernprozesse. Durch die Bereitstellung von Methoden der Leitungsmessung werde der Unterrichtsverlauf kontrollierbar. Otto stellt fest, daß es in der Kunsterziehung entgegen diesen Forderungen allgemein gängige Praxis sei, die Stoffülle beispielsweise nach persönlichen Vorlieben oder zufällig vorhandenen Lehrmitteln zu beschränken. Viele Kollegen tradieren bewährte Verfahren, bevorzugen bestimmte Themen in bestimmten Klassen. Als Beispiel nennt er das Thema „Vogel singt im Käfig“ in einer 5. Klasse, bei dem die Schüler ohne die Intentionen des Lehrers zu kennen zunächst den Vogel, dann den Käfig malen. Entsprechender Anweisungsgehorsam der Schüler führt dabei zu einem guten einheitlichen Klassenergebnis, das die Spiel- bzw. Arbeitsregeln garantieren. Otto fragt sich, wie ein derartiger Unterricht methodisch auf die gegenstandsfreie Malerei reagiere. Er konstatiert eine verbreitete Ratlosigkeit, die sich häufig in der Anweisung manifestiere:“heute malen wir mal modern“. Wenn also die Methode des Malens zum Bildgegenstand werde, versagen die genannten Unterrichtskonzepte. Das widerspricht der Auffassung Ottos vom Kunstunterricht als einem ständigem Wandel unterworfenen Prozeß. Als Antwort auf diese Situation fordert er, daß pädagogisches Handeln auch im Kunstunterricht kontrolliert und zu rechtfertigen sein müsse. Er fragt weiter, was die Gesellschaft vom Kunstunterricht in der Schule erwarte und konstatiert einen Konflikt zwischen Schule und Gesellschaft. Besonders der Kunsterzieher, der in sich den Konflikt zwischen Erziehungsbeamten und Künstler austrage habe häufig ein gebrochenes Verhältnis zur Rationalität. Diese sei jedoch auch im Bereich der Kunst hilfreich. Gunter Otto fordert demnach die stärkere Einbindung auch reflexiver Erfahrungen in den Unterricht. Zu diesem Zeitpounkt noch immer sehr verbreitete fachdidaktische Konzepte, die sich allein auf die schöpferischen Kräfte des Menschen beziehen, allein die Ausgleichsfunktion des Fachs betonen und, unterstrichen durch Praxisapelle, nur Wert auf das Produzieren und auf rein gefühlsmäßige Reaktionen der Schüler legen, lehnt er strikt ab.

Für H.G.Richter kommt bei G.Otto in dieser Darstellung des Jahres 1969 das „kühle Pathos der Rationalität“ endgültig zu Durchbruch. Er spricht vom „Zeitalter des Wissenschaftlichen Unterrichts“, das auf dem Papier etwa von 1959 bis 1969 (Pfennig/Otto) dauert, in der Realität (1981) jedoch noch existiere. Otto habe zusammen mit Heimann und Schulz ein Didaktikum für die Lehrerbildung entwickelt, das unter dem Begriff „Berliner Modell/Schule“ 1976 veröffentlicht wurde. Dieses Didaktikum nehme Otto als Basis für seine wissenschaftsorientierte Kunstdidaktik. Er füge mit der Überarbeitung seine Didaktik in einen hochartifiziellen Rahmen ein. Seine Begrifflichkeit werde so künstlich, daß man sie jeder neuen Studentengeneration neu erklären müsse. Laut Richter böte diesehr formale erste Ebene dieser Lerndidaktik eigentlich mehr Möglichkeiten für einen schülerzentrierten, situationsgerechten Unterricht, in dem auch der semantische und historische Aspekt der Bildenden Kunst zu Tragen kommen könnten.

Struktur und der Funktion der Kunst der Gegenwart

Otto zitiert R. Pfennig, der als Gegenstand des Kunstunterrichts das „Bildnerische Denken“ bezeichnet, „konkretisiert im Handeln der Schüler und exemplifiziert an den Werken der Gegenwartskunst“. Die moderne (1968) Kunst ist für Otto eine Kunst ohne Gegenstände und  beschränkt sich zunehmend innerkünstlerische Strukturen. Drei Schlüsselbegriffe zeigen für Otto den Weg zum Verständnis dieser Struktur der Kunst der Gegenwart: „Material“, “Experiment“ und „Montage“. Das Atelier des Malers habe sich in eine Werkstatt verwandelt in der das Material zum Partner des Künstlers geworden sei. Der Begriff Experiment habe nicht fälschlicherweise einen naturwissenschaftlichen Beigeschmack und Montage sei das Stilprinzip der Moderne schlechthin. Otto nennt Beispiele aus der Pop-Art, dem Surrealismus, und zeigt exemplarische Bildanalysen zu Almir Mavignier, Rupprecht Geiger und Arakawa. Otto betrachtet die Entwicklung der Kunst (Malerei) seit dem Kubismus und behauptet, das aus dem Bild des Gegenstandes zunehmend ein „Gebilde eigenen Rechts“ geworden sei, aus der Subjektivität erwachsen, eigengesetzlich, theoriebezogen und abstrakt. Dies müsse Folgen haben für den der sie lehre. Die Theoriebezogenheit des Gegenstandes, den Kunstunterricht lehre, bedinge seine rationale Aufbereitung im Kunstunterricht (rationaler Inhalt / rationale Methode).

Die Funktion der Kunst sei in unserer Gesellschaft nicht mehr das Formulieren von „Leitideen“, sie wirke vielmehr vom Rande her, sekundär über die Mode, die Werbung und die Medien.. Ihre primäre Wirkung begrenze sich auf Kenner und Genießer. Sie lehre den Menschen, sich über seine ersten Eindrücke Rechenschaft abzulegen und sich seinen Emotionen „im Licht der Ratio zu stellen“. Sie biete darüberhinaus dem Betrachter Freiheit und Subjektivität an und bedeute somit einen Freiheitsgewinn. Kunst mache die Welt transparent und trage somit zu deren Veränderung bei.

Der Kunstpädagoge müsse im Unterricht „Anschlußstellen“ suchen, über die er die Schüler zur modernen Kunst führen könne. So kann der Weg in die Kunst sowohl über die Faszination des Machens, als auch über das Wissen und die theoretische Information führen. Gegenwartskunst, so schließt Otto etwas pathetisch dieses Kapitel seiner Betrachtung, sei ein „Übungsfeld der Toleranz“ und trage somit zur „Demokratisierung der Kultur“ bei. Kunst müsse demnach gelehrt werden. Wer sich mit ihr beschäftige, übe sich in die Grundhaltung des Integrierens, des Tolerierens, des Experimentierens und Kritisierens ein.

Inhaltlich wählt Otto nach H.G. Richter eng umschriebene Teilmengen aus der Modernen Kunst aus, in denen die Organisation von künstlerischen Mitteln zu inhaltlichen Problemen erhoben werden. Entsprechend geschehe seine Darstellung der Entwicklungslinie der Modernen Kunst. Mit seinen Kriterien „aus der Subjektivität erwachsen“, „eigengesetzlich“, „theoriebezogen“ und „abstrakt“ meint  er den Charakter Moderner Kunst überhaupt getroffen zu haben. Zwischenbereiche zwischen einer rational-kalkulierten und einer emotional-privaten Ausdrucksweise würden einseitig ausgeklammert. Ferner verwechsle Otto den Theoriegehalt mancher Kunstwerke mit verbalen Äußerungen der Künstler über ihre Werke. Kein Theoriegerede könne nach Richter die inhaltliche Leere mancher dieser Objekte ersetzen. Schließlich reduziere Otto methodisch die Reflexion aus Gründen der Lehrbarkeit auf formale Gegebenheiten und Sichtbarkeiten des ästhetischen Objekts. Fragen nach dessen Bedeutung, Sinn und Wert kommen nicht auf. Der Satz, die künstlerische Form werde „buchstabiert“, jedoch nicht „gelesen“.

Schulkind und Jugendlicher im Verhältnis zur Welt und zur Kunst

Otto befragt die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie, ob es ein altersstufentypisches Verhältnis zur Welt gibt, ob sich das in der Kinderzeichnung niederschlägt und welche didaktische Funktion derartige Beobachtungen haben. Er versteht dies alles nicht als konkrete Vorschläge für den Fachunterricht, sondern versucht das Potential zu klären, auf das ein derartiger Unterricht aufbauen könnte. Nicht das Bewahren des Kindes auf der alterstypischen Stufe, wie ältere Konzepte der Fachdidaktik es empfehlen, sondern das Hinausführen in die nächste Entwicklungsstufe ist Ziel seiner Theorie des Kunstunterrichts. Unter Berufung auf die Autoren Gesell (1958) und Langeveld (1956) weist er auf den Einfluß der Umwelt, der soziokulturellen Faktoren auf die Entwicklung der Kinderzeichnung hin. Auch diese Einflüsse haben Konsequenzen für den Fachdidaktiker. Er stellt damit die Phasenmodelle der Entwicklungspsychologie in Frage, da er dem Elternhaus und dem Vorunterricht entscheidenden Einfluß zugesteht. Otto unterscheidet in seinen Ausführungen zwischen dem Schulkindalter und dem Jugendalter, dessen Beginn er mit dem 12./13. Lebensjahr ansetzt. Er hat die Äußerungen von Kindern und Jugendlichen über eigene Malereien und Bilder von Klee und Picasso geammelt. Otto leitet aus ihnen ab, daß ältere Schüler Bilder nicht mehr ausschließlich inhaltlich zu deuten versuchen, sondern sich zunehmend auch für den Herstellungsprozeß und die Formalstrukturen des Bildes interessieren. In ihnen erwache ein starkes Interesse für Darstellungstechniken und Ausdrucksformen. Sie malen nicht mehr ein „Autorennen“, sondern „wie Picasso“. Der Kunstunterricht muß demnach eine „bildnerische Schulung“ bieten. Reflexion habe innerhalb dieser Schulung einen besonders wichtigen Stellenwert. Während das Schulkind stark außenweltbezogen sei, erweitere sich beim Jugendlichen der Horizont auch gegenüber der eigenen Innenwelt. Er findet sein Verhältnis zur Welt, indem er sich direkter als das Schulkind kulturellen  Inhalten und Problemen der Gesellschaft zuwendet.

Das Schulkind orientiert sich in einer nahen, vorwiegend gegenständlichen Welt. Der Jugendliche erlebt die Welt anders strukturiert. Er versucht über den Nahraum mit seinen konkret faßbaren Inhalten hinausgehende Einsichten in übergeordnete Zusammenhänge des Kultursystems überhaupt zu gewinnen. Merkmale der Pubertät seien die Fähigkeit zu abstrakter Reflexion, die Zuwendung zu Symbolen, die das abstrakte Denken erschließen. An Stelle der bisherigen Extraversion trete eine Introversion. Sie kann bis zur Trotzhaltung gegenüber der umgebenden Welt führen. Diese erste Phase der Reifezeit reißt das Kind aus seiner naiven Sicherheit der Weltbezüge heraus. Mit dem Verlust der positiven Stellung zum Leben ist der häufig betonte Leistungsrückgang verbunden ( „negative Phase“/Hetzter). Selbstüberschätzung und Minderwertigkeitsgefühle streiten miteinander. Viele junge Menschen bauen sich jetzt, alleingelassen eine Abwehrhaltung gegenüber der Gesamtkultur auf. Die Gesamtaufgabe der Schule sei der Prozeß der „Intellektualisierung“ des Jugendlichen ( Langeveld ).  Das Fach Kunsterziehung versteht Otto demnach als Möglichkeit, an dem immer anders akzetuierten Ineinander von Experiment und Information, Handlung und Beobachtung, Erfahrung und Belehrung, Anpassung und Protest, Vertrauen und Zweifel, Sicherheit und Risiko, Aktivität und Kontemplation, Produktion und Reflexion sowie Wissen und Fühlen mitzuwirken, welche diesen Prozeß des Erwachsenwerdens begleiten.

H.G. Richter nennt diese Betrachtungsweise „blaß“ und „allgemein“.

Historische Ansätze einer Theorie der Kunsterziehung

Noch einmal setzt Otto sein Modell von der Bildungsdidaktik ab, da si die Betonung nicht auf das sachbezogene Wort „Kunst“, sondern auf das Wort „Erziehung“, dessen ideologischen Anteile überwiegen, legt. Statt dessen schlägt Otto das Wort „Kunstunterricht“ vor, da die Betonung auf Unterricht die Sachinformation dominanter herausstelle. Er versucht im Folgenden seine Position historisch zu begründen.

Mit den Veröffentlichungen und Ausstellungen Corrado Riccis (1906) zur Kinderzeichnung und der Reformbewegung um die Jahrhundertwende habe sich der vormalige Zeichenunterricht zum Fach Kunsterziehung gewandelt. Dieser Wandel, der sich in den Kunsterziehertagen von 1901/03 und 1905 manifestierte, geschah zunächst aus der Ablehnung wilhelminischer Didaktik heraus. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg (1920-30) erst entstanden auffällig viele Schriften zum Thema Kinderzeichnung.

„Der Genius im Kinde“ von G.Hartlaub (1921)

Otto bezeichnet Hartlaubs Konzept einer Kunsterziehung als „Abschirmpädagogik“, die antiwissenschaftlich sei und sich ausschließlich mit Problemen besonders begabter Schüler befasse. Hartlaub böte keine Basis für „Unterricht“, sondern beschreibe in seinem Buch eher Leitlinien für „Einschränkung von Unterricht“. Otto bezeichnet dieses Konzept als „negative Pädagogik“, die besonders für das Jugendalter keine Vorschläge zur Hand habe. Vor allem in der Grundschule meint Otto Auswirkungen Hartlaubs zu erkennen. Lehrer, die ihr pädagogisches Unvermögen mit dem Spruch, man solle die Kinder „nur machen lassen“, zu verbergen suchen, seien immer noch weit verbreitet. Eine „Pflege der Naivität“ im Sinne Hartlaubs sei letztlich jedoch „repressiv“.

„Die Kunst des Kindes“ von Oskar Wulff (1927)

Wulff warnt vor der Verabsolutierung des Geniebegriffs und fordert vom Kunsterzieher an den Schulen die Pflege des Begabungsdurchschnitts. Die Didaktik gliedert sich in 4 Gruppen, die nicht nach Klassen, sondern nach Entwicklungsstufen eingeteilt werden, „vom Leichten zum Schweren“im Sinne einer „Erziehung zum rechten Sehen“. Dieses Modell  klammere für Otto affektiv-kindliche Komponenten des Fachs Kunsterziehung völlig aus. Die Bildende Kunst komme in diesem Konzept so gut wie nicht vor. Sein Modell ziele an der tatsächlichen Entwicklung der Schüler vorbei. Aus heutiger Sicht lasse sich eine Bewertung „falsch“, „richtig“, im Sinne des Naturbildes nicht mehr vertreten.

 „Theorie der Bildenden Kunst“ von Gustaf Britsch, (1927)

Britsch sieht im kindlichen Zeichnen „Urkunden“, die auf eine Verarbeitung sog. Gesichtssinneserlebnisse Rückschlüsse ermöglichen. Britsch bietet ein in sich geschlossenes System, ein Schema an, mit dem sich rein „optizistisch“ auf die Qualität eines Bildes schliessen lasse. Das gilt für das Kunstwerk genauso, wie für eine Kinderzeichnung. Dieses System sei bis heute eine große Verlockung für den Kunstpädagogen. Im Hinblick auf die Zeitschrift „die Gestalt“, die im Jahre 1968  unter Kunstpädagogen noch weit verbreitet war und sich auf  die Britsch-Lehre beruft, kritisiert Otto die Konformität der Unterrichtsergebnisse. Statt einer produktiven Lebendigkeit und immer neuer Auseinandersetzung böte diese Lehre ein rein formales Konzept ohne psychologische Begründung.

„Musische Bildung“: Otto Haase  „Musisches Leben“ (1951)

Gegner des Musischen ist für Otto die Technik. Der Lebensraum des Musischen ist das Spiel. Mit Blick auf die Quellen der musischen Bewegung versteht diese sich als Protest gegen die einseitig fortschrittsgläubige und technisierte Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Diese Ablehnung der jeweils gegenwärtigen Kunst ziehe sich bis heute durch. Im Sinne einer „Rückkehr zu den Wurzeln“ des Künstlerischen bediene sich die musische Pädagogik einseitig volkstümlicher Formen der Kunst. Auf eine Auseinandersetzung mit der „Vielgestaltigkeit“ der Kunst wird bewußt verzichtet, jedoch mit dem Anspruch, den „ganzen“ Menschen bilden zu wollen. Musische Erziehung lehen lebenspraktische Dinge im Unterricht ab, sie stelle an den Unterricht zu wenig Informationsanspruch und stehe mit dem Rücken zur Wirklichkeit des Lebens. Allgemeine Ziele (Prägung, Erweiterung der Innerlichkeit, Gemütsbildung...) seien zu idealistisch formuliert, während konkrete Ziele viel zu bescheiden beschrieben werden. Die Kritik an der Musischen Erziehung sei in den vergangenen Jahren spürbarer geworden, da die Gesellschaft zunehmend ideologiekritisch eingestellt sei, auch die Kunstfächer rationalisiert würden. Otto schließt sich der aktuellen Kritik H. Möllers an, der die Musische Erziehung als „intellektfeindlich“charakterisiert. Er unterstützt die Ansicht Dahrendorfs, der ihr unterstellt, private, keine gesellschaftlichen Tugenden zu fördern. Musische Erziehung verstärke einseitig die Individualzüge des Menschen. Musische Kunsterziehung dränge den Einzelnen in die Sonderrolle des „Schöpfers“ und „Genießers“. Sie verhindere somit seine Teilhabe an öffentlicher Kultur und die Förderung sozialer Tendenzen.

H.G. Richter sieht in der starken Abgrenzung gegen das Prinzip des Musischen Gründe, für die Überbewertung der Rationalität seiner Kunsterziehung und setzt genau hier seine Kritik an. Situative Bedingungen des Faches wie der Wechsel der Jahreszeiten, Feste, Freude, Trauer etc. wären für ihn mit dem „Bannfluch des Musischen“ belegt und hätten in seinem sachlogischen Konzept keinen Platz. Kunstpädagogische Zielsetzungen im affektiven Bereich wie Ausdruck oder Kreativität übersehe er wohl aus Ablehnung des Musischen heraus. Auch die einseitige Fixierung auf die Moderne Kunst sei wohl als Reaktion zu verstehen.

„Gestaltungslehren“

Kunstpädagogische Konzepte dieser Art versuchen eine systematische Ordnung der Mittel und Gestaltungsvorgänge, auf denen Kunst beruht. Die „traditionelle Elementarlehre“, wie Otto sie bezeichnet, gehe auf J. Itten und seine Vorlehre am Bauhaus (1919-23) zurück. In ihr werden methaphysische Elemente (Entspannungsübungen, Atemübungen ...) und Gestalungskunde ineinander verwoben. Diese Lehre besitze „Tagebuchcharakter“ und entbehre einer Systematik. Otto nennt die ebenfalls unter dem Einfluß des Bauhauses 1937  veröffentlichte „Gestaltungslehre“ von Alfred Erhardt. Seine Lehre basiere auf den jeweiligen Bedürfnissen des „Materials“ und leite daraus die Gestaltungsaufgaben ab. Für Otto bleibt diese Lehre pädagogisch zu allgemein, da kaum Altersangaben zu finden seien.

Anders sei das bei den „elementaren Strukturlehren“, wie Otto es bezeichnet. Er nennt einen kunstpädagogischen Arbeitskreis um Hans Ronge (1969). Lernen im Kunstunterricht habe eine Veränderung des „Zeichenvorrats“ zur Folge. Die Untersuchungen Ronges tendieren zur Beschränkung auf einfache Zeichensysteme. Erstmals werde systematisch eine bewußte, steuerbare Initiierung von Lernprozessen, eine Messung der Ergebnisse dieses Lernprozesses und eine Analyse von Kunstwerken versucht, deren Struktur zu diesen Prozessen analog sei.

„Didaktik der Kunst“, Kurt Staguhn,(1967)

Staguhn liefert vor allem eine anthropologische Begründung des Fachs. Für ihn ist Zeichnen „Vorstellungsklärung“. Das Thema im Kunstunterricht sei der Ausgangspunkt, ein „Vehikel“ um Vorstellung zu klären. Die bildnerische Tätigkeit im Kunstunterricht soll zur Entwicklung bildnerischer Ordnungen veranlassen. Sie hat keinen primären Informationswert im Hinblick auf Kunst, sondern soll die Vorstellung klären, die das Kind von der Welt hat. Die  „Kindnähe“ führt in Staguhns Konzept zugleich zu einer „Kunstferne“, die Gunter Otto kritisiert.

In eine zusammenfassenden Kritik macht Otto seinen Standpunkt noch einmal deutlich:

In psychologisch bestimmten Konzepten dominiere ein „Erlebnisbegriff“.Volkskunst sei dominant und Gegenwartskunst werde ausgeklammert. Derartige Kulturkritik verenge häufig den Blickwinkel (Musische Konzepte). Vernünftige Kriterien zur Wahl der Inhalte des Unterrichts fehlen. Künstlerische Phänomene werden rein „optizistisch“ gedeutet (Britsch). Diese Konzepte seien unspezifisch, idealistisch und letztlich utopisch.

Den Bauhauslehren liegen rein materiale Bildungskonzepte zu Grunde, ohne ausreichende Berücksichtigung der Entwicklungspsychologie. Auswahlkriterien der unübersehbaren Stoffülle seien nur künstlerische Formalia.

„Kunstunterricht als Prozeß I“

Anthropogene, soziokulturelle und fachliche Bedingungen des Kunstunterrichts

Schulkindalter: Mit einem Seitenblick auf K. Schwerdtfeger (1960) charakterisiert Otto die Aufgabe der Grundschule als Differenzierung der Formgehalte der Kinderzeichnung mit den typischen Merkmalen einer konstruktiven, dekorativen, additiven und sachbezogenen Linie und einem tektonisch-ornamentalen Über-und Nebeneinanderbauen der räumlichen Bezüge. Zusätzlich unterstützt er die Forderung Eberts (1967), der von der Kunsterziehung in dieser Altersstufe ein „Stimulieren“ der kindlichen Differenzierung und Spezifizierung erwartet. Das Schulkind bringe zeichnend die Welt in Erfahrung. Das Schulkind sei der Welt gegenüber realistisch eingestellt und setzt sich mit dem auseinander, was ihm begegnet. Schulkind und Kunst seien schwer miteinander vereinbar, da der Künstler die Welt in einer dem Kinde nicht mehr oder noch nicht verständlichen Art und Weise auslege. Das Kind identifiziere den Gegenstand, während der Künstler ihn transzendiere. Dieser Konflikt führe bei vielen Kunstpädagogen zur Bevorzugung der Volkskunst oder der Kunst der Vergangenheit. Otto fragt hingegen nach Faktoren, Inhalten und Problemen der Modernen Kunst, die sich bereits im Unterricht der ersten Grundschuljahre ins Blickfeld rücken lassen. Das Kind interessiere sich eher für die „genetische“ Dimension und den kommunikativen Aspekt der Kunst.  Der experimentelle Charakter der heutigen Kunst und das Wesen des Kindes seien verwandt. Das Kind frage im Künstleratelier nicht „was“, sondern „wie und „womit“ etwas gemacht ist. Mit den „Wegen“ der Kunst und deren Instrumenten lassen sich auch im Kindesalter Motive und Inhalte der Umwelt bearbeiten. Die Konsequenz daraus seien neuartige, differenzierte Handlungsabläufe, wie Finger-painting, Wachsschabtechniken, Kratztechniken usw.. Die Materialien sollten keine technischen Erkenntnisse voraussetzen, sondern deren Erwerb ermöglichen. Die Motive sollen aus der direkten Umwelt des Kindes stammen und Beunruhigungscharakter besitzen. Er empfiehlt dem Unterrichtenden Motive zu suchen, die den Blick zugleich auf bildnerische Probleme lenken. Anliegen der ersten Jahre des Kunstunterrichts müsse es sein, mit dem Medium der Kunst die kindliche Welterfahrung und die Dokumentation des kindlichen Seins zu erweitern. Dies geschehe in der Artikulation von Zeichen, der Ordnung von Zeichenzusammenhängen, der Strukturierung farbiger Formen durch einfaches Mischen, der Strukturierung graphischer Formen, der Strukturierung der Plastik durch Addition und Subtraktion, sowie durch Addition von Einheiten im Raum. Die Phantasiewelt des Kindes bilde keinen Gegenbegriff zur Technik und zur Wirklichkeit, wie häufig fälschlich angenommen werde. Bilderbuchklischees müssen verhindert werden.

Beispiele: „Autofriedhof“, „Wir drängeln uns in der Früh in die Schule hinein“ (2. Schuljahr), „Quergestreifter schiebt Längsgestreiften“ und „Mutter probiert Hut beim Winterschlußverkauf“(4.Schuljahr).

Jugendalter: Otto zitiert H. Read, der in der Entwicklung einen Einschnitt beim 11./12. Lebensjahr des Kindes zu erkennen meint. Eine Orientierung an der Kultur und der Gesellschaft löst die affektive Zuwendung des Kindes zur Welt ab. Statt des kindlichen „Lustprinzips“ trete immer stärker ein „Realitätsprinzip“ in Erscheinung. Wenn die affektiven Stellungnahmen zu Gunsten eines stärker „reproduktiven“ Bedürfnisses nachlassen, kündigt sich das Ende der Kindheit an. Die Gegenstände sind für den Heranwachsenden nicht mehr nur manipulierbares Material, sie haben Gestalt und Form. Entsprechend stellt der Jugendliche an seine Zeichnungen den Anspruch der Übereinstimmung mit der Erscheinungswirklichkeit und mit vergleichbaren, scheinobjektiven Wiedergaben (Comic, Prospekte, Werbung...), auch mit der Bildenden Kunst. Für den Inhalt des Kunstunterrichts hat das zur Folge, daß bildnerische Problemlösungsprozesse mit der Analyse und Beschreibung verbunden werden müssen. Der Schüler soll zunehmend lernen, Flächen, Körper und Raum zu strukturieren und zugleich über Sachstrukturen, Entstehung, Bedeutung und Funktion bildnerischer Prozesse informiert werden.  Die heutige Jugend interessiere sich für die Prinzipien der modernen Kunst Material, Experiment und Montage. Die natürliche Bereitschaft zur aktiven Auseinandersetzung muß durch die stimulierende Kraft des Materials und Werkzeugs unterstützt werden. Alle modernen Mittel des Malers heute, Kreiden, Stifte jeder Art, Leim-Lack-Wasserfarben, Spachteln, Hölzer, Pinsel, Sand, Schleifpapier, Fotos und Gegenstandsreste für Collagen etc. sollen im Kunstunterricht bildnerische Prozesse anregen. Experiment und Naivität lassen sich nicht über die Kindheit hinaus erhalten. Der Jugendliche sucht nach Raffinement und Machbarkeit im Umgang mit künstlerischen Mitteln. Die Aufgaben sollen die Aufmerksamkeit auf bildnerische Probleme lenken.

Darüberhinaus vermittelt der Kunstunterricht im Jugendalter kultur- kunstgeschichtliche und sozialgeschichtliche Kenntnisse und fundiert durch die Kommunikation mit ästhetischen Objekten die Beziehung des Menschen zur Kunst. Von der Gegenwart ausgehend soll der Kunstunterricht Relationen zu historischen Formen der Kunst anbieten. Die Schule muß an dieser Stelle führen, indem sie die Jugendlichen öffnet. Sie muß „in die Kultur hinein verführen“, wie Otto es ausdrückt. Weltanschauliche Probleme, Mode, Ausstellungen und der weite Bereich der gestalteten Umwelt als Unterrichtsgegenstände sind laut Otto „Chancen“, die die Gesellschaft wahrnimmt oder verspielt.

Otto vergleicht sein Konzept mit R. Pfennig (1969).  Für Pfennig macht das Kind zunächst mehr von sich selbst sichtbar als von den dargestellten Dingen. Am Ende der spontanen kindlichen Gestaltung beginnt es immer stärker zu vergleichen. In der Reifezeit schließlich gelten die Maßstäbe der umgebenden Bildwelt. Es ist Aufgabe des Kunsterziehers, dafür zu sorgen, daß diese Bildwelt die Bildende Kunst ist. Diese begreife der Jugendliche durch Teilnahme. Für Otto müsse der Kunstunterricht mehr anstreben als die Kunst. Der vorhandene Katalog ästhetischer Objekte müsse dauernd mit den Veränderungen in der Gesellschaft revidiert werden. Pfennigs Analyse richtet sich zu einseitig auf Kunst als Struktur und zu wenig auf Kunst als sozialen Prozeß. Er frage nicht vom Kind/Jugendlichen her auf die Bildende Kunst zu, sondern von der zeitgenössischen Kunst aus zum Kind/Jugendlichen hin.

Beispiele: „Experimentellen Umgang mit Farbe“ (8.Klasse) verschiedene Auftragsmöglichkeiten der Farbe, verschiedene Werkzeuge und Mischwerte. Im Gespräch untereinander soll nicht die Frage „was soll das sein“, sondern „wie ist das gemacht“ Vorrang haben und gemeinsam Kriterien der Bewertung (Ausgewogenheit, Spannungsreichtum etc.) gefunden werden. „Flachdruck“ (7.Klasse) „Experimentelles Zeichnen“ 10.Klasse. Bei all diesen Themen sollen inhaltliche Aufträge nicht das experimentelle Handeln der Schüler behindern. Die Qualität der Schülerarbeiten wachse um so mehr, je weniger die Zeichungen der Individualform verfallen. Von der Fläche zur Räumlichkeit (Klasse 9) dreiteilige Reihe von Experimenten mit unterschiedlichen Teilungen einer Fläche (Zeichenfeder, Tusche). Analyse räumlicher Teilungen bei Vermeer und F. Winter.

„Kunstunterricht als Prozeß II“

Die den Unterrichtsprozeß strukturierenden didaktischen Entscheidungen

Intention

Die Lerndidaktik nennt drei Generalintentionen von Unterricht. Daseins-Erhellung im kognitiven Bereich, Daseins-Erfüllung im emotionalen Bereich und Einfluß auf die Willensdimension im pragmatischen Bereich. Gunter Otto fragt nach fachspezifischen Intentionen und in welchem Bereich sind diese angesiedelt seien. „Kunstunterricht soll bildnerisch strukturieren lehren und im ästhetischen Bereich kommunizieren lehren“. Daraus ergibt sich ein Unterricht, der weder bloß auf der rationalen, noch bloß auf der emotionalen Ebene angesiedelt werden darf. Vielmehr seien Handlung und Analyse gleichberechtigt.

Selbsttätige Arbeit der Schüler diene in Ottos Modell vor allem dem Verständnis des Kunstwerks, nicht dem eigenen Ausdruck. Von den drei Ebenen der Intentionen des Unterrichtens, die Otto darstelle, der kognitiven, pragmatischen und emotionalen, werde in dieser Darstellung nach H.G. Richter die kognitive Ebene der Rationalität zu Lasten der Emotion und des pragmatischen Umgangs mit dem Material zu einseitig belastet.

H.G. Richter vermißt in der strengen Forderung nach rationaler, pragmatischer Bewältigung der vom Lehrer vorgegebenen, formalen, bildnerischen Zusammenhänge die Möglichkeit zur inhaltlichen, ausdruckshaft-individualistischen Auseinandersetzung. Als fachspezifische Inhalte nennt Otto Bildnerische Prozesse und ästhetische Objekte. Richter sieht in Ottos Modell eine zu einseitige Bevorzugung der Gegenwartskunst, vor allem der Abstraktion. 

Aus Gründen der Lehrbarkeit reduziere sich die Reflexion auf formale Gegebenheiten und Sichtbarkeiten des ästhetischen Objekts. Fragen nach dessen Bedeutung, Sinn und Wert kommen nicht auf. Der Satz, die künstlerische Form werde „buchstabiert“, jedoch nicht „gelesen“

Methode

Die Lerndidaktik geht von einer lehrgangsmäßigen Artikulation des Unterrichts aus. Produktion und Reflexion bilden die methodische Grundfigur des Kunstunterrichts. Otto entwirft als methodisches Gerüst ein Phasenmodell des bildnerischen Prozesses. Die erste Initiationsphase soll neugierig machen, die Aufmerksamkeit der Schüler wecken. Die anschließende Explorationsphase soll ein Problembewußtsein erzeugen. Typisch für diese Phase ist die Schülerfrage: „und was sollen wir jetzt machen?“ In der Objektivierungsphase werden die aufgeworfenen bildnerischen Probleme gelöst. Trotz objektiver Strukturen, Medien und Methoden solle jeder Schüler eine je eigene Lösung suchen („Divergenz“). In der Integrationsphase werden die Ergebnisse geordnet und die Erfahrungen gesichert. Musische Konzepte betonen zu stark die Phasen der Initiation und Exploration, des Erlebnisses. Gestaltungslehren verstehen unter der Objektivierungsphase die Vermittlung objektiver Daten innerhalb eines geschlossenen Systems. Die Integration werde vom Lehrer vorweggenommen. Das Phasenmodell dürfe nicht streng linear gesehen werden, was Otto an einer Graphik verdeutlicht:

              Motivation ------------------------------Initiation---------------------------------Präsentation

              Realisation-------------------Exploration       Objektivierung-----------------Diskussion

              Reflexion--------------------------------Integration--------------------------------Realisation

Beispiel: An einer Unterrichtseinheit zu Cèzanne in einer 9. Klasse zeigt Otto, wie ein auf mehrere Stunden aufgeteiltes Modell des Kunstunterrichts, der Reflexion und Produktion gleichwertig behandelt, aussehen könnte. In den Lernzielen zeigt sich, daß die Schüler nicht nur im Herstellen von Gebilden, selbst strukturieren sollen. Die bildnerisch-praktischen Phasen des Unterrichts dienen in diesem Modell gleichzeitig dem Verstehen und dem anschließenden Kommunizieren mit den Strukturen, die Cèzanne den Schülern anbietet. 

Ein analoges Phasenmodell kennt die  Kreativitätstheorie (Lowenfeld,1960). Diese Forschung sucht nach meßbaren Eigenschaften, die den schöpferischen vom weniger schöpferischen Menschen unterscheiden. Otto nennt Sensivität, Aufnahmebereitschaft, Beweglichkeit, Originalität, Umgestaltungsfähigkeit, Analyse und Abstraktion, Synthese und ästhetische Organisation. Er stellt die Frage, wie sich diese Faktoren der Kreativität im Unterricht durch Lernprozesse optimieren lassen und sieht das Problem, daß alle Faktoren ineinander verwoben sind. Am ehesten könne der Kunstunterricht den Umgestaltungsfaktor gezielt herausfordern. Er beschreibt eine von ihm durchgeführte Versuchsreihe hierzu

   „Vom Kohlkopf zum Labyrinth“(8. Klasse) 1.Schnitt durch einen Kohlkopf / Tuschezeichnen.2. Labyrinth farbig aus

     den Strukturen herauslösen. 3.„Labyrinthische Ordnung im Rahmen einer Grauskala“. Eine zweite vergleichbare

     Schülergruppe erhält unmittelbar den letzten Arbeitsauftrag. Der Vergleich der Ergebnisse zeigt ein deutlich

     monotoneres Zeichenrepertoire, und wesentlich beziehungslosere, heterogenere Strukturen in den Arbeiten der

     zweiten Gruppe

und folgert: Sensibilität ist lehrbar. Umgestaltung ist ein geeignetes Medium, um Sensibilität zu provozieren. Aufgabenstellungen in stufenweiser Version fördern Sensibilisitätsleistungen im ästhetischen Bereich.

H.G. Richter meint, daß Otto die Fragen der Methodik „stiefmütterlich“ behandle.  In der Schule seien nicht die Methoden, sondern die Gegenstände primär. Richter nennt diese Form des Unterrichts „sachorientiert“. Die Methoden, die Otto nenne, Produktion und Reflexion gebe es schon immer in der Fachdidaktik. Problematisch sieht Richter, daß die Produktion dem Verständnis der Kunst diene und ihren eigenen Ausdruckscharakter verliere.

Medien

Da Kunstunterricht das Strukturieren im Rahmen bildnerischer Prozesse lehre, bedürfe der Unterricht der Produktion der Schüler, die auf Realisationsmedien (Materialien, bildnerische Verfahren...) angewiesen sind. Da Kunstunterricht das Kommunizieren mit ästhetischen Objekten lehre, bedürfe der Unterricht der Reflexion der Schüler, die auf Präsentationsmedien (ästhetische Objekte, meist Stellvertreter, wie Dias, Reproduktionen etc.) angewiesen sind.

Daraus ergibt sich folgende Graphik:

                                                                 Kunstunterricht

                   Intention                       Inhalt                        Methode                    Medium

               Strukturieren               Bildnerische            Produktion und          Realisation

                       und                      Prozesse und            Reflexion                           und

               Kommunizieren          ästhetische                                                     Präsentation

                                                   Objekte

               Lehrabsicht                  Lehrinhalt                     Lehrweg                  Lehrmittel

Das Problem der Zensur im Kunstunterricht

Zensuren sind für Otto im Kunstunterricht möglich, sinnvoll und hilfreich. Leistungsmessung ist die Konsequenz aus der Leistungsforderung des Lehrers und den Erwartungen des Schülers. Alle Lehrer zensieren in allen Fächern. Zensur sei ein Kennzeichen der Schule. Auch der Kunstunterricht habe sich an den Geplogenheiten der Schule zu orientieren. Otto spricht sich gegen eine „Mittelzensur“ aus, die Rücksicht auf geringere Begabung nehme, Mut machen wolle, weil „sonst gar nichts mehr getan“ werde. Einer derartigen Form der Zensur fehle die erzieherische Wirkung.  Leistungsmessung soll immer sachbezogen sein. Zensur entstehe nicht erst am Ende, sondern ist vom Anfang einer Aufgabenstellung her zu begreifen. Zensuren sollen immer im Zusammenhang mit dem Unterricht sein, innerhalb dessen meßbare Leistungen möglich sein sollen. Er räumt ein, daß im Schulkindalter außerkünstlerische Faktoren eine gewisse Rolle spielen müssen. Je stärker die Intention des Unterrichts hier im affektiven Bereich lägen, desto weniger vergleichbar seien die Ergebnisse. Der Lehrer solle im Grundschulbereich seine Urteilsfindung auf Aufgabenstellungen beschränken, die den Schülern  ausreichend Motivation böten, bildnerische Verfahren im Umgang mit den Gegenständen und Problemen kontrolliert einzusetzen. Die zu bewertende Leistung des Schülers sei dann der Grad der gegenständlichen Realisierung und der Gebrauch der bildnerischen Mittel. Die Beurteilung fragt somit im Schulkindalter mit nach dem Gegenstand und meint zugleich seine Formung, seine Farbigkeit, die graphische Ausdeutung usw.. Von der Vorpubertät an fordert Otto deutlicher Maßstäbe im Bildnerischen anzusetzen und die Schüler die „Härte“ sachlogischer Kriterien spüren zu lassen. Er betont dabei noch einmal, daß Schülerarbeiten nicht Kunst seien, sondern das Ergebnis von Unterricht. Zensiert würden Arbeitserfolge und Lernleistungen, die durch unterrichtliche Maßnahmen veranlaßt sind. Grundlage einer gerechten Zensur müssen gemeinsame Aufgaben und ein gemeinsamer Arbeitsprozeß sein. Die geforderten Strukturelemente des bildnerischen Prozesses sollten in Form der Zensur so präzis und spürbar wie möglich objektiviert werden. Freilich gesteht auch Gunter Otto ein, daß Zensuren im Fach Kunst nicht immer sinnvoll und nötig seien. Otto zitiert H.J.Hoffmann, der vier Unterrichtsverhalten nennt, für die es in der Schule Zensuren gibt. In Fächern wie Musik und Sport ist es das spielerisch-entlastende Verhalten des Schülers. In Biologie, Erdkunde und Geschichte vor allem das explorativ- entfaltungsbetonte Verhalten. In Kunst und Mathematik (n.b.die Kombination!) ist es die manipulatorisch-konstruktive Mitarbeit und in Fächern wie Deutsch und Fremdsprachen seien es besonders die sprachgebundenen Leistungen. Otto sieht darin einen Hinweis für den Fachdidaktiker, wann im jeweiligen Fach zensiert werden sollte: für Kunsterziehung bei Aufgaben, die die manipulatorisch-konstruktive Mitarbeit der Schüler herausfordern.

Er bemerkt in der fachdidaktischen Diskussion eine allgemeine Tendenz der Kunsterzieher Zensuren zu verharmlosen („Profanierung des Fachs“/Dettmar, „Absurd“ /Meyers,  „wohlwollend“/ Pierzl/Strassner). Kriterien seien oft nicht meßbar( „die Liebe zur Sache“, „Fülle“,  „mit ganzer Liebe“,ohne „Fremdeinflüsse und nichtssagenden Linien“ (Betzler). Aufgrund graphologischer Kriterien solle der Charakter mitberücksichtigt werden( Schwerdtfeger) oder die Zensur solle nach dem Grad der „Übereinstimmung von Gemütslage und Ausdrucksweise“ zu bestimmen sein (Read). Leistungsurteile haben für Otto nichts mit einer derartigen Diagnose der Schülerarbeit zu tun.

Drei Praktiken seien bei der Urteilsfindung üblich. Das Evidenzurteil, das Otto als problematisch bezeichnet. Er meint auch Schlager seien evident, jedoch ohne Qualität. Das Verfahren der groben Qualitätsunterscheidung, bei dem der Lehrer zunächst drei Gruppen (gut, mittel, schlecht) bilde, gehe zwar zunächst vom Evidenzurteil aus, ermögliche jedoch immer feinere Differenzierung und sei nicht zuletzt, wei es rasches Arbeiten ermögliche, das verbreiteste. Otto empfiehlt zumindest zeitweilig das Verfahren, bei dem Kriterien aus dem Material heraus entwickelt werden und die Schülerleistung in Teilleistungen zerlegt werden.

Beispiele:„Netzhaftes auf Grund“ ( 9. Klasse) Mittels Frottage und überarbeitender Tuschezeichnung sollten die Schüler gegenständlich das Motiv Netz/Grund und technisch die zeichnerische Überarbeitung einer Frottage bearbeiten. Als Kriterien der Bewertung nennt Otto Die Grauwertskala, die Verwendung der Frottagetechnik, die graphische Erfindung zum Thema Netz, das bildnerische Arrangement des Themas Netz, die Kontrastierung von Netz und Grund, sowie die Rhythmisierung des Themas Netz im Bildzusammenhang. An der Auswertung der Arbeiten, bei der zu jedem Kriterium Punkte vergeben wurden, verdeutlicht Otto, daß beispielsweise die unterrichtliche Forderung nach der Technik der Frottage spürbare Konsequenzen für die Bewertung der Arbeiten hat.

“Sonntägliche Invasion von Spaziergängern“, (6. Klasse) Wird aber die rechnerische Summierung solcher Teilleistungen der Summe einer Schülerarbeit wirklich gerecht? Wird nicht auch hier ein gewisser Mittelwert begünstigt? /„Wasserpflanzen auf Meeresgrund“, (7.Klasse) Erweiterung der Kriterien durch Zwischenbesprechung unter Beteiligung der Schüler (“Sekundärintentionen“) „Sonderschwierigkeiten“der Schüler und „Primärintentionen“/ unterschiedliche Gewichtung der Teilergebnisse

Otto muß zugestehen, daß derart gründliche Auswertungen von Unterrichtsergebnissen in der Praxis kaum anwendbar sind. Er rät dem Pädagogen jedoch vereinzelt zu derartigen Formen einer möglichst „objektiven“ Zensur, da mehr als eine subjektive Meinung oder nur eine typologische Differenzierung des Materials gefordert sei.

Der Erfolg dieser Fachdidaktik gründet sich nach H.G. Richter vor allem in seiner „Künstlichkeit“, seinem formalen Charakter, der dennoch Möglichkeiten zu einer individuelle Ausdeutung offen lasse. Der „Curriculum-Konstrukteur“ und der planende Lehrer könnten sich dank Otto auf ein System fachdidaktischer Positionen berufen, das so wenig wie möglich dem Belieben überläßt, stringent aufgebaut ist und dennoch gewisse Änderungen zuläßt. Zahlreiche veröffentlichte Stundenentwürfe, Unterrichtsreihen und Unterrichtsprotokolle nach diesem Konzept der Verschränkung von Produktion und Reflexion im Kunstunterricht beweisen dies bis heute. Besonders in der zweiten Ausbildungsphase der Lehrerbildung, der Referendarzeit haben sich Ottos Vorschläge breit gemacht. Zum ersten Mal seit ersten Ansätzen in den 20er-Jahren scheint es mit Ottos Veröffentlichung der Kunstdidaktik im Jahre 1969 gelungen zu sein, die Planung und Verwirklichung des Unterrichts von rationalen Kriterien (Entscheidungen) abhängig zu machen. Das Fach gewinne an Lehrbarkeit, Planbarkeit und Überprüfbarkeit dazu. Das Problem, das sich für H.G. Richter dabei ergibt, liegt in den schwerwiegenden Reduktionen und Vereinfachungen des Fachgebiets. Die bestechende Stringenz des Konzepts Gunter Ottos funktioniere nur, weil alle komplizierenden Faktoren aus Inhalt und Methode ausgeklammert würden (vgl.Inhalt!).

Ottos Feststellung, daß Lehre auch im Kunstunterricht möglich sei vereinfache ästhetische Phänomene zu stark. Sein Vorschlag einer ausschließlich rationalen Methode, die sich auf ausschließlich rational strukturierte Gegenstände bezieht entsteht aus einer „Fehlinterpretation“ der Modernen Kunst. Inhaltlichkeit Moderner Kunst werde nach dem Prinzip „Kubismus und die Folgen“ zu Gunsten rein formaler Problemstellungen vernachlässigt. Bis heute (1981) seinen Folgen dieser Reduktion im Kunstunterricht spürbar. Alle nachfolgenden kunstdidaktischen Modelle, die die ästhetische Mitteilung in ihrer Komplexität und Geschichtlichkeit in das Zentrum ihrer Bemühungen stellen, haben es gegenüber dieser vereinfachten Sicht schwer. Sie lassen sich nicht auf derart einfache Formeln und auf ein so eingängiges System didaktischer Beziehungen bringen.