Erasmus-Grasser-Gymnasium, München                                                                                                      Gensbaur
Seminar für Kunsterziehung

 Kunsterziehung im Nationalsozialismus

Kunsterziehung am Ende der Weimarer Republik

Gegen 1930 war der Zeichenunterricht an den deutschen Schulen im großen und ganzen von den kunsterzieherischen Intentionen neu geprägt. Kunstunterricht wurde 1925 an den Gymnasien Preußens zum Kernfach. Kunsterzieher wurden nach dem neuen Gedanken der Erziehung „durch Kunst“ an Akademien ausgebildet. Selbst die Lehrplane des konservativen Bayern waren vom musischen Prinzip erfaßt. Dieser Aufbruchstimmung im Erziehungswesen stand eine sozial und politisch krisenerschütterte Zeit gegenüber. W.A.Reiss beschreibt in seiner Untersuchung zur Kunstpädagogik der Weimarer Republik ausführlich die Aushöhlung der Demokratie in den Jahren vor der Machtübernahme Hitlers.

Nach Inflation und Börsenkrach verschlechterte sich die soziale Situation der Zeichenlehrer in Deutschland dramatisch. Allgemein entstand ein Klima geistiger Reaktion. Die dementsprechende Reform- und Bildungsfeindlichkeit wirkte sich spürbar auf die Schulen aus. Der öffentliche Spardruck druckt in der Öffentlichkeit zuerst auf die Beamtenschaft und innerhalb der Schule besonders auf die ehemals „technischen Oberlehrer“, die im Kollegium oft nicht als gleichwertig anerkannt sind. Nach den Sparmaßnahmen im Jahre 1931 (Gehaltskürzung um bis zu 30%, Streichung des freien Studientags, Kürzung der Stundentafel etc.) sieht der Verbandsvorsitzende Fritz das „Lebenswerk einer Generation begeisterter Kunsterzieher wie durch einen Blitzschlag vernichtet.“ Das Jahr 1932 bezeichnet Reiss als das Jahr der Resignation und des „inneren“ Siegs des Faschismus. Die Zeichenlehrer der Weimarer Republik waren politisch resigniert, sie sahen ihren „schonen Beruf zertrümmert“ und fragten nach dem Staat, der tatenlos blieb. Aus der Distanz zum Staat wurde Haß auf den Geist der Republik. In diesem Klima wuchs die Hoffnung auf den Führer, der „wieder Ordnung schaffen“ wurde und „jedem wieder einen festen, wohlgeordneten Platz in der Volksgemeinschaft“ geben werde. Entsprechend rasch wurden die Zeichenlehrer dem NSLB eingegliedert (April 33 Beitritt „aus Sorge um das Fach“

“Der NSLB wird weiter kämpfen, bis der letzte deutsche Lehrer vom Hitlergeist erfaßt ist“).Protestlos konnten Braunhemden im Februar 33 Professoren der Berliner Kunstschule überfallen. Es wurden im gleichen Jahr alle Juden und Kommunisten entlassen, eine Distanzerklärung aller Beamten zur SPD verlangt und alle Schlüsselpositionen in der Fachpresse und im Verband von Funktionären der NSDAP besetzt. Als Anerkennung setzte der neue Staat ein Zeichen, indem er die alten Stundentafeln für die Zeichenlehrerschaft wieder einsetzte. Georg Kolb sprach dementsprechend davon, daß durch die Zeichenlehrerschaft ein „frohes Aufatmen“ ginge und nannte diese Geste symbolhaft für die „Erziehungsgesinnung der nationalsozialistischen Bewegung“. Als im darauffolgenden Jahr der Zeichenunterricht erheblich eingeschränkt wurde zugunsten des Reichsjugendtags ist öffentlicher Protest der Zeichenlehrer bereits nicht mehr möglich.

"Kulturbolschewismus ist alles, was der Nationalsozialismus ablehnt"/ Nationalsozialistische Ideologie und Kunsterziehung

Das "Neue" nach 1933 hatte bereits in der Weimarer Republik ein breites Fundament. Allgemein läßt sich in der spaten Weimarer Republik eine nationalistisch geprägte kulturkritische Grundstimmung beobachten. Die ideologischen Vorkämpfer des Nationalsozialismus Paul Schultze Naumburg und

Otto Rosenberg hatten bereits vor 1933 die Rassentheorie (Kunst und Rasse,1928) in die Kunstdiskussion eingebracht. Der bereits vor 1900 von Max Nordau geprägte Begriff "Entartung" wird von ihnen bereits lange vor der Ausstellung 1937 zur Diffamierung der dekadenten artfremden internationalen Moderne und zur Forderung nach einer bodenständig gewachsenen Heimatkunst gebraucht ("Wider die Negerkunst - f ur deutsches Volkstum"). Rosenberg prägt in seinem

Kampfbund für deutsche Kultur bereits 1929 den Begriff "Blut und Boden", aus dem die Kunst "erstehen muß, wenn sie zum rechten Leben erwachen will". Erst der neu erwachende Staat böte nun wieder die Möglichkeit f ur eine neue, echte, wirklich im deutschen Volkstum wurzelnde Kunst. Großstädtische und internationale Kunst wird abgelehnt. Das Heil der Kunst und der Künstler wird

wieder auf dem flachen Land vermutet. Die ehemals Langbehnschen Vorstellungen von Heimat, Natur, Brauchtum, Volk und Gefühl treffen sich mit dem ideologisch geforderten Provinzialismus der NS-Ideologen. Zum Protagonisten der Kunsterziehung im III. Reich wird Robert Böttcher, der

Erich Parnitzke als Schriftleiter von Kunst und Jugend ablöst und 1938 Reichssachbearbeiter für Kunsterziehung wird. Die Reinigung der deutschen Kunst von undeutschen Verirrungen (z.B. die Die

Italienreise Dürers und die "welschen" Bilder Böcklins), sowie die Überwindung der modernen Unkunst (vgl.Ausstellung Entartete Kunst ) waren sein erklärtes Ziel. "Analysieren und Rationalisieren gehört der Vergangenheit an"(Böttcher). "Lehrer, die sind wie die Kinder und Künstler", sollten den Schülern Zugang zum deutschen Kulturgut verschaffen. Kunsterziehung diene somit zur Herstellung einer Denkgemeinschaft in künstlerischen Dingen, entsprechend der Forderung Hitlers, daß "von jetzt ab das Volk wieder zum Richter über seine Kunst aufgerufen werde". Ziel war eine "volkstümliche Kunsterziehung" (H.F. Geist - die Wiedergeburt des Künstlerischen

aus dem Volk, Leipzig, 1934), in der noch die "rechte Ordnung" (H.Herrmann,

"Glanz des Wahren") herrscht. Das Experimentelle wird abgelehnt. Das Konventionelle gilt als Richtschnur des gesunden Menschenverstandes. Die idealistische Forderung H. Scharrelmanns von

1904 "jede Stunde solle ein Kunstwerk sein" trifft sich mit der allgemein vernunftfeindlichen pädagogischen Haltung der Nationalsozialisten. Statt Sachinformation und Kunstbetrachtung soll Ehrfurcht vor der großen Deutschen Kunst vermittelt werden. Stilanalysen sind verpönt. Bereits für Karl.O.Hartmann ist 1917 "Volkskunst als Wesensausdruck des Volkstums "wichtiger als die

Erziehung des Kindes zur ästhetischen Genußfähigkeit". Gunter Otto stellt in diesem Zusammenhang fest: " Kunsterziehung wird im Nationalsozialismus zur "prototypisch irrationalen Veranstaltung"."Das Gefühl dominiert über den Verstand, das Erlebnis hat Vorrang vor der Analyse"(Otto). Die neue Propaganda sanktioniert den Irrationalismus in der Kunsterziehung.

Die Britsch-Lehre und die Fachtheorie im Nationalsozialismus

Radikal wird die zunächst propagierte nationale Erneuerung der Kunst nach 1933 realisiert. Seit dem 1.5.34 wurden die Hoheitsrechte der Länder durch das neue Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung abgelöst. Entsprechend wurden alle Fachtheorien und Fachinhalte zentral und einheitlich auf die neue Ideologie ausgerichtet. Die Vielfältigkeit der unter dem Begriff

"musisch" zusammengefaßten Kunsterziehungsmodelle um 1930 wird einseitig auf das völkisch-rassische und das national- bodenständige Konzept reduziert. Helmuth Stellrecht schreibt in seiner Schrift "Neue Erziehung" (1941): "musische Erziehung ist ... im höchsten Maße nationale Erziehung, ist Erlebenlassen der großen Welt des eigenen Volkes, ist Abgrenzen von der Welt anderer Völker."

Alle an modernen Kunstrichtungen orientierten Konzeptionen der Kunstpädagogik (Bauhaus u.a.) werden ausgeschlossen. Bereits 1933 muß Leo Weismantel seine 1928 gegründete Schule der Volkschaft in der Tradition der Reformbewegung (schöpferisches Wachsenlassen vom Kinde aus) schließen. Der Schriftleiter von Kunst und Jugend Georg Kolb versucht vergeblich seine dem Expressionismus nahestehende Lehre dem neuen System anzudienen (Freimachen der seelischen

Kräfte des Kindes). 1934 wird er von seinem Amt entlassen. Sein Nachfolger Erich Parnitzke ist Vertreter der Lehre Gustav Britschs, die in einem Amtsblatt von 1940 ausschließlich als didaktische Grundlage des Fachs zugelassen werden wird. Britsch (gest. 1927) und in der Nachfolge Egon Kornmann begreifen das kindliche Schaffen als möglichst reinen Ausdruck seiner Erkenntnisstufe und sehen die Aufgabe der Kunsterziehung in der behutsamen Pflege dieser Gestaltung. Kinderfehler und Unzulänglichkeiten der frühen Kunst sind nicht negativ, sondern positive "Merkmale" einer Geistigkeit "einfacherer Stufe". Wie wenig diese theoretische Erkenntnis Britschs von Adolf Hitler selbst verstanden wurde zeigt seine Rede zur Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst 1937. Er vergleicht in dieser Rede das "Kunstgestammel der letzten Jahrzehnte" mit "ungefügen Leistungen von etwa acht bis zehnjährigen, untalentierten Kindern". Fachdidaktische Literatur dieser Jahre klingt meist harmlos: "Frohes Schaffen im Anschluß und in Weiterführung an die Überlieferung" sollte zu einer einheitlichen, nationalen Kultur beitragen. "Alle nachlässige, liederliche, unsaubere Arbeit ist zu tadeln. Reinheit erzeugt immer wieder Reinheit" (H.F.Geist). Säuberung natürlich auch in ideologischer und rassischer Hinsicht erfuhren dementsprechend die Bilderbücher und der Wandschmuck an den Schulen. Die Erziehung zum Ordnungssinn bedeutet auch Unterordnung und

Einfugen des Einzelnen in Reih und Glied,"Erziehung zu soldatischem Gehorsam, Opferbereitschaft, Treue und Angriffsgeist" ( Programm der nationalsozialistischen Schulpolitik, 1933). Ferner soll das "Haus des deutschen Menschen wieder Kunst und Handwerk gehören". Die Ergebnisse des Kunst-

Werk- und Handarbeitunterrichts sollen als Volkskultur, als "Volksproduktion" den maschinellen Ersatz in den Stuben ersetzen (H.F.Geist). Mit dieser Intention ließ sich auch Hitlers Forderung nach Erziehung zur nationalsozialistischen Weltanschauung, nach Behandlung von "Themen wie Volk als Blutsgemeinschaft, als Schicksals- und Kampfgemeinschaft, als Arbeitsgemeinschaft, als

Gesinnungsgemeinschaft" verbinden. Die minuziös gezeichneten oder gemalten Bilder zielten nicht auf Entfaltung des Individuell-Schöpferischen sondern auf Gemeinschaft. Für Böttcher unterscheidet sich der Künstler nur graduell, nicht qualitativ vom Nichtkünstler. Seine "Zeichenschule" bewirkt zwischen den Gradunterschieden einen Ausgleich. In Anlehnung an Britsch soll der Schüler

vom Abbilden zum "Gestalten" geführt werden. Durch Gewinnung eines klaren inneren Anschauungsbildes von dem, was im Zeichner Form wurde, entstehen aus der Vorstellung v.a. Scherenschnitte und Sepiazeichnungen in Besinnung auf die Entdeckung des Volkstums in der deutschen Romantik. Die materiellen Investitionen der Schüler in bezug auf Disziplin, Fleiß und

Sauberkeit der Formen lassen sich in ihren Arbeiten ablesen: bei der Zeichnung germanischer Verzierungen, dem Stammbaum der Ahnen, NS-Feiern und Ritualen, Plakaten zum Winterhilfswerk, Sammlungen von Altmaterial, nordischen Rechteckhäusern, Flugzeugen oder bei ortskundlichen Themen" (Reiss).

Kunsterziehung nach dem Ende des Krieges

Der rückständig orientierte, antiintellektuelle Stil der Pädagogik führt in den Jahren nach 33 rasch zu einer Verflachung des Stands der Kunsterziehung. Die Theoriediskussion fallt nach 1936 praktisch weg. Universell war alles Moderne der Kunst vor 33 und somit das aufklärerisch- progressive Element der Kunstpädagogik eliminiert worden. Die kunstpädagogischen Varianten, die das

Seelenvolle, Gemeinschaftsfördernde und Volksnahe propagierten, bleiben auch nach dem Zusammenbruch des III. Reichs weiter bestehen. Die Theorie Gustav Britschs wird auch nach dem Krieg zu einem Sammelbecken unterschiedlicher reformerischer Ansätze in einer Zeit ideologischer Verunsicherung und kulturellen Aufbruchs.

Literatur zum Thema:

- Alex Diel, Die Kunsterziehung im III. Reich - Geschichte und Analyse, Dissertation, München, Uni-Druck, 1969
- Wolfang A. Reiss, Die Kunsterziehung in der Weimarer Republik - Geschichte und Ideologie, Beltz Verlag, Weinheim, Basel, 1981
- Diethart Kerbs, Historische Kunstpädagogik, Du Mont Verlag,  Köln, 1976
- Gunter Otto, Kunst und Erziehung im industriellen Zeitalter,  Sonderdruck aus Erziehungswissenschaftliches Handbuch, Berlin, 1969