Erasmus-Grasser-Gymnasium                                                                                                    Seminarleiter: Martin Gensbaur
Fachseminar für Kunsterziehung

 

Anmerkungen zum Thema Farbe

  1. Das Phänomen Farbe und die Entwicklungspsychologie:

„Während über die Entfaltung der Raumkonzepte eine schier unübersehbare Literatur vorliegt, muss man den Auffassungen über die Entwicklung des Farbausdrucks in einzelnen Textabschnitten oder gar Nebensätzen nachspüren.“ (Richter, H.G., 1997). Diese Aussage steht in offenbarem Widerspruch zur allgemein gängigen Praxis des Kunstunterrichts an den Schulen, aus dem der Malkasten nicht wegzudenken ist. Bildnerisches Gestalten im Kinder- und Jugendalter vollzieht sich nicht zuletzt über den Gebrauch unterschiedlichster Angebote an Farbmitteln. Für die Auswertung innerhalb psychologischer Forschungsprojekte ist die Verwendung von Farbmaterial schwieriger als rein zeichnerische Untersuchungen. So ist das Thema Farbe in diesem Feld etwas sperrig. Immer wieder taucht in der Entwicklungspsychologie die Frage auf, ob sich die Kinder und Jugendlichen in unterschiedliche Typen einteilen lassen. Itten, Kretschmer und Ott gingen sogar soweit eine Art Konstitutionslehre zu vertreten, die von der allgemeinen Erscheinung der Schüler eine Verbindung zu deren bildnerischem Ausdruck sehen. In Ittens Standardwerk „Die Kunst der Farbe“, Ravensburg, 1960 fasst er seine Erfahrungen aus dem Vorkurs im Bauhaus zusammen und beschreibt prägnante Beispiele einer individuellen Farbharmonie, die er Fotografien und Beschreibungen der jeweiligen Schüler gegenüberstellt. So eindrucksvoll die von Itten und anderen Zeitgenossen beschriebenen Beispiele sein mögen, so schwierig dürfte es für den Kunsterzieher sein, auf derartige Phänomene angemessen zu reagieren. M. Kläger unterscheidet schon im frühen Kindesalter „Formseher“ von „Farbsehern“, eine Klassifizierung, die sich auch im späteren Kunstunterricht auswirkt. Zusätzlich gibt es in der Entwicklung Phasen einer Form- und Phasen einer Farbdominanz auf die der Kunstunterricht reagieren sollte. Auffallend ist die Ablehnung des Malkastens im Pubertätsalter. U. Schuster sieht die Ursache des Problems vor allem darin, dass der Kunstunterricht die Schüler mit ihren maltechnischen Problemen „allein lässt“ (vgl. www.kusem.de ). Meiner Meinung nach sollte man in diesem Alter neben Aufgabenstellungen, die auf eine Ausbildung technischer Fertigkeiten zielen den Schülern verstärkt neue Materialien anbieten, deren Reiz die Jugendlichen zum bildnerischen Arbeiten anstachelt.

2. Rubens contra Poussin – eine grundsätzliche Frage der Fachdidaktik

Mir fällt immer wieder auf, dass es bestimmte Schülertypen gibt, deren bildnerischer Ausdruck mehr malerisch, oder mehr linear-graphisch geprägt ist. Diese Einteilung, die H.Jantzen auch auf die Entwicklung der abendländischen Kunstgeschichte anwendet, lässt sich mitunter auch alters- bzw. geschlechtsspezifisch differenzieren. Der Kunsterzieher sollte, meiner Meinung nach, auf beide Dispositionen seiner Schüler angemessen reagieren und Aufgabenstellungen suchen, die beiden Begabungen Möglichkeiten individueller Entfaltung anbieten. Traditionell gesehen geht es hier um eine Streitfrage, die seit Gründung der ersten Akademien, besonders in Frankreich immer wieder heftig diskutiert wird. Während z.B. Charles Le Brun als glühender Verehrer der Kunst Poussins um 1700 davon ausging, dass es die Aufgabe der Farbe sei, die Augen zu befriedigen, die Zeichnung jedoch „den Geist anspreche“, erklärte der Kunstschriftsteller Roger de Piles zur gleichen Zeit mit Blick auf die Werke des Peter Paul Rubens die Farbe zum primären Gestaltungsmittel. Nachdem in Folge der Aufklärung und des Klassizismus die sogenannten „Poussinisten“ (David, Ingres) gesiegt hatten, erlebten die „Rubinisten“ mit Gericault und Delacroix im 19. Jh. eine Renaissance. Der Richtungsstreit lässt sich bis heute verfolgen und prägt auch die unterschiedlichen Auffassungen des Kunstunterrichts. So sprach man früher nur von „Zeichenunterricht“, während eher musische Konzepte einer Pädagogik des Malkastens den Vorzug geben.

3.Malkasten und Farblehren

Auch die Farblehren sind grundlegenden Richtungsstreitigkeiten unterworfen. Mit J.W. Goethe und Ph.O.Runge beginnt eine Reihe von Farblehren, die im Kern bis heute an den Schulen vermittelt werden. Die Anordnung der Farben in einem Farbkreis oder einer Farbkugel stellt ein System dar, das sich Schülern als Modell einer Farbordnung sehr prägnant vermitteln lässt. Schon in der Grundschule lernen daher sie Schüler in der Regel den Itten`schen Farbkreis kennen, der heute in der Industrie eigentlich keine Rolle mehr spielt. H. Küppers stellt mit seinem Grundgesetz der Farbenlehre ( Köln, 1978) ein Modell vor, das sich wesentlich stärker an der Technologie des Drucks, der Fotografie und des Videobildes orientiert. Sein Modell der drei Urfarben VGO und den daraus resultierenden acht Grundfarben ist, technisch gesehen, der heutige Standard, der z.B. am Computerbildschirm besser vermittelt werden kann als mit dem Malkasten. An den Schulen hat sich nach heftigen Kämpfen, die schon in den 20er- Jahren zwischen A. Hölzel und W. Ostwald (Fa. Marabu – „erster deutsche Farbentag“, 1919) entbrannten, der auf Hölzels Theorien zurückzuführende Malkasten der Fa. Pelikan nach der DIN- Norm 5021 durchgesetzt, auch wenn sich mit den darin angebotenen Rot- und Blautönen der Itten`sche Farbkreis nicht wirklich darstellen lässt. Die Fa. Pelikan reagiert darauf mit dem Angebot spezieller Malkästen (DIN 5023), die das notwendige Cyanblau und Magentarot enthalten. Ich persönlich halte im Kunstunterricht relativ wenig von der mechanischen Reproduktion möglichst sauberer Farbkreise, ohne den tieferen Sinn und vor allem auch die Abhängigkeit des Modells von variablen, zeitbedingten Auffassungen (vgl. Küppers) deutlich zu machen. Die Farblehre bietet dem Kunsterzieher vor allem eine breite Palette fächerübergreifender Projekte an, da sie Fragen der Physik (z.B. Spektralfarben, Prismen etc.), der Biologie ( Aufbau des Auges, Zäpfchen etc.), Chemie (Farbstofflehre)  und vieler anderer gymnasialer Fächer berührt.

4. „Fahrplan Farbe“ – eine grundsätzliche Orientierung am Lehrplan

Das Thema Farbe berührt im Lehrplan in allen Stufen vor allem den Bereich des Bildnerische Praxis, aber auch die anderen Lehrbereiche Bildende Kunst, Gestaltete Umwelt, Visuelle Medien und Spiel, bzw. Repräsentation. In der Klasse 5 soll zunächst einmal vor allem Mut gemacht werden. Jeder Schüler soll zeigen, was er bereits kann. Mit dem Begriff „Proben aus dem Kunstlabor“ wird der Kunsterzieher vor allem dazu aufgefordert die kindliche Neugier an Farbmitteln und die Lust auf das Experiment mit Farben auszunutzen. Erst in der 6. Klasse sollen den Schülern Mittel und Verfahren zur Verfügung gestellt werden, ihre Ideen „ausdrucksvoll ins Bild zu setzen“. Erste Hinweise auf Kontrastlehren, einfache maltechnische Rezepte usw. fördern die individuellen Möglichkeiten der Schüler. Vom neuen Fach Natur und Technik verspreche ich mir auch im Hinblick auf eine erste Auseinandersetzung mit dem Thema  Licht und Farbe in diesem Alter einiges (Vgl. Ikarus – Lehrbuch, München, 2003, S. 99-101 Ab der 7. Klasse befasst sich der Kunstunterricht zunehmend mit den Möglichkeiten die Farbe in den Dienst eines realistischen Bildkonzepts zu stellen. Mit dieser Änderung geht zugleich in der Regel eine stärkere Betonung linear- perspektivischer und räumlich- modellierender Aufgabenstellungen einher. In der Klasse 9 soll der Kunstunterricht mit den Schülern emotionale Ausdrucksmöglichkeiten und Symbolik der Farbe thematisieren. In der 10. Klasse werden Wege zur absoluten Farbe, das Verhältnis von Abbild und Abstraktion, Mitteilungs- und Anmutungswerte der Farbe in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. In der 11. Klasse stehen Begriffe wie „Bildgefüge als Bedeutungsträger, oder das Nachspüren der Entwicklung von ... Techniken, nicht zuletzt im Zusammenhang mehrfarbiger Drucktechniken, sowie eine verstärkte Untersuchung des Phänomens Farbe im Zusammenhang mit Gestalteter Umwelt als konkrete Angebote für den Lehrer im Lehrplan, das Thema Farbe anzusprechen und vor allem auch praktisch erfahrbar werden zu lassen. Der Grundkurs sieht in der K12 ein eigenes Halbjahr zum Thema Farbe-Malerei vor, innerhalb dessen der Schüler, meiner Meinung nach, grundlegende Farbmittel und Maltechniken nicht allein theoretisch kennen lernen sollte. Hier sollte man den Schülern möglichst einmal etwas anderes als den Zeichenblock und den Malkasten anbieten und immer wieder auch zum maltechnischen Neuland und Experiment mit den Materialien hinführen. Das macht nicht zuletzt im Hinblick darauf Sinn, dass die Beschäftigung mit Bildender Kunst in der Kollegstufe vor allem für eine Begegnung mit moderner Kunst öffnen will. Auch im Leistungskurs Kunst gelten diese grundlegenden Überlegungen, wobei hier der Lehrplan eine stärkere Vertiefung ermöglicht.

Literatur:

Albers, H., Interaction of colour, Kölm, 1970
Eucker,J.,Walch, J., Farbe – Wahrnehmung, Geschichte und Anwendung in Kunst und Umwelt, Hamburg, 1988
Hamm, U., Farbe, Arbeitsheft, Klett, Stuttgart, 1982Hess, W., Das Problem Farbe, Mäanderverlag, 1981
Itten, J., Kunst der Farbe, Ravensburg, 1961
Jantzen, H. Über Prinzipien der Farbgebung in der Malerei, o.O., 1913
Kanisza, G., Die Erscheinungsweise der Farben, in: Handbuch der Psychologie, Göttingen, 1961
Küppers, H.,  Harmonielehre der Farben, Köln, 1989
Küppers, H. Das Grundgesetz der Farbenlehre, Köln, 1978
Nerdinger, W., Elemente künstlerischer Gestaltung, München, 1986, S. 161 ff.
Schöne, W. Über das Licht in der Malerei, Berlin, 1961
Kunst + Unterricht, Heft 1265, Wege zur Farbe, 2001